Bilingualer Unterricht in naturwissenschaftlichen Fächern

Was ist bilingualer Unterricht?

Bilingualer Unterricht heißt zunächst ganz allgemein, dass ein Sachfach (also ein Fach, das keine Sprache ist, wie z.B. Naturwissenschaften) in einer Fremdsprache (z.B. auf Englisch) unterrichtet wird.

Bilingualer Unterricht ist allerdings kein Fremdsprachenunterricht. Die Vermittlung des Sachfachs steht dabei im Vordergrund. Drei unterschiedliche Ausprägungen hinsichtlich der Konzeption von bilingualem Unterricht im Hinblick auf den Umfang der Fremdsprache haben sich in den letzten Jahren herausgebildet: (1) Der gesamte Unterricht erfolgt in der Fremdsprache, (2) das Material wird in der Fremdsprache angeboten, die Unterrichtssprache ist jedoch Deutsch, (3) Fremdsprache und Deutsch werden im ausgewogenen Verhältnis sowohl im Material als auch in der Unterrichtssprache eingesetzt.

Für die Schulorganisation haben sich drei Formen der Umsetzung von bilingualem Unterricht als besonders geeignet herausgestellt: (1) In bilingualen Zügen oder Profilen werden die Schülerinnen und Schüler vor dem Einsetzen des bilingualen Unterrichts intensiv sowohl in der Fremdsprache als auch im Sachfach geschult und vorbereitet. In der Regel erhalten sie eine bis zwei Schulstunden mehr Fremdsprachunterricht und eine höhere Stundenzahl des bilingualen Sachfachs über einen Zeitraum von einem Schuljahr, bevor der bilinguale Unterricht beginnt. (2) Die Fremdsprache wird über einen längeren Zeitraum (mindestens ein Schuljahr) als Arbeitssprache im Unterricht verwendet. (3) In bilingualen Modulen werden im laufenden Unterricht einzelne Sequenzen (Unterrichtsreihen oder -Stunden) in der Fremdsprache bilingual unterrichtet.

Rechtliche und fachliche Grundlagen des bilingualen Unterrichts regeln die meisten Länder selbst (⟶ konkret für NRW siehe hier: https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Unterricht/Lernbereiche-und-Faecher/Sprachlich-literarischer-Lernbereich/Bilingualer-Unterricht/index.html). Dort werden Einzelheiten, wie die Definition, Zulassungsbestimmungen, Umfang, Dauer, Qualifikation der Lehrkräfte (⟶ siehe auch Anmerkungen weiter unten), Bewertungs- und Zertifizierungsmaßnahmen geregelt.

Warum Naturwissenschaften bilingual unterrichten?

Screenshot 2020-03-30 at 20.52.09
Möglicher Zugang zum bilingualen Chemieunterricht?

Bilinguale Fächer sind traditioneller Weise gesellschaftswissenschaftliche Fächer (z.B. Geschichte, Erdkunde, Politik, etc.). Sie sind wegen ihrer Textlastigkeit, der vermeintlich der Schwerpunkt sprachlicher Kompetenzförderung darstellt, prädestiniert in einer Fremdsprache unterrichtet zu werden. Außerdem hängt das Angebot bilingualer Unterrichtsfächer stark mit der Verfügbarkeit hierfür qualifizierter Lehrkräfte zusammen: Häufig kombinieren Fremdsprachlehrer*innen ihr sprachliches Fach mit einer weiteren Geisteswissenschaft . [1]

Trotzdem wird auch Biologie als häufigstes naturwissenschaftliches Unterrichtsfach (an sechster Stelle der Rangliste [2] des bilingualen Angebots) bilingual unterrichtet. Woran liegt das?

Naturwissenschaftliche Fächer bieten neben der Textarbeit vor allem auch wegen der Experimente und Einsatz von Modellen und Diagrammen authentische Sprechanlässe, die zum Austausch auf ganz natürliche Weise anregen.

Die positiven Effekte hinsichtlich der Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen durch die intensive Auseinandersetzung mit der Fremdsprache sind dabei offenkundig. Jedoch sind die dadurch begünstigten Effekte auf fachspezifische Kompetenzen des Sachfachs dabei nicht von der Hand zu weisen.

Die zuletzt vielfach durch Josef Leisen [3] [4] ins Bewusstsein gerufene Sprachsensibilität im Sachfachunterricht kommt durch den bilingualen Unterricht im besonderen Maße zum Tragen. Leisens Anregungen für einen effektiven bilingualen Unterricht basieren auf wiederholten Begegnungen und Auseinandersetzungen mit einem Sachinhalt auf gegenständlicher, bildlicher, sprachlicher, symbolischer und mathematischer Weise. Die sprachliche Umwälzung der Inhalte führt zu einer gründlicheren und sprachlich saubereren Auseinandersetzung mit den Lerngegenständen des Sachfachs und kann auf diese Weise zu einer nachhaltigeren Vernetzung des Wissens führen. Da allen didaktischen und methodischen Überlegungen im bilingualen Unterricht gemein ist, dass sie sowohl Elemente der Sachfachdidaktik als auch der Fremdsprachdidaktik enthalten, ist die bilinguale Didaktik immer eine interdisziplinäre Didaktik.

In der deutschen Bildungslandschaft hat sich der bilinguale Unterricht bewährt und seit seiner Entstehung in den 1960er Jahren vor allem in den letzten 20-30 Jahren enorm weiterentwickelt. Dieser Prozess ist allerdings noch nicht abgeschlossen: „Da junge Menschen durch bilingualen Unterricht mit besonderer Weise auf die Mehrsprachigkeit und Mobilität in einer immer stärker wirtschaftlich, kulturell und persönlich verflochtenen Welt vorbereitet werden, ist den Ländern die weitere Förderung des bilingualen Unterrichts ein Anliegen.“ [2]

Für wen soll bilingualer Unterricht gut sein?

IMG_0548
Ist Bilingualität in Naturwissenschaften relevant?

Der bilinguale Unterricht bietet allen Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten, ihre Potentiale auszubauen und zu vertiefen. In Studien zum bilingualen Sachfachunterricht [5] (insbesondere in naturwissenschaftlichen Fächern) zeigten sich positive Effekte auf die Motivation der Lernenden:

Sprachlich stärkere Schülerinnen und Schüler setzten sich durch die Unterrichtssprache lieber mit den Inhalten des naturwissenschaftlichen Unterrichts auseinander und beteiligten sich aktiver am Unterricht, da ihnen die Anwendung der Fremdsprache leichtfiel und ihnen Freude machte. Die Motivation naturwissenschaftlich interessierter Schülerinnen und Schüler (die von sich selbst behaupteten eher schlecht in Fremdsprachen zu sein) wurde durch den Einsatz der Fremdsprache als Unterrichtssprache jedoch nicht gemindert. Sie setzten sich weiterhin am Inhalt interessiert mit den Materialien auseinander und entwickelten so fast schon nebenbei fremdsprachliche Kompetenzen. In weiteren Studien [5] [6] gaben Schülerinnen und Schüler außerdem an, sich im bilingualen Chemieunterricht häufiger als im Englisch- oder deutschsprachigem Chemieunterricht zu Wort zu melden, weil sie den Eindruck hatten, nicht so sehr unter dem Druck zu stehen, sich sprachlich korrekt ausdrücken zu müssen.

Da im bilingualen Unterricht die Fachsprache als Fremdsprache wesentlich mehr Aufmerksamkeit sowohl von Lehrer*innen aus auch von Schüler*innen erfährt, werden durch häufigere Wiederholungen und Methoden zur Veranschaulichung unterschiedliche Zugänge zum Verständnis des Unterrichtsgegenstands geboten. In einer Studie gaben Schülerinnen und Schüler an, dass ihnen dabei besonders positiv aufgefallen sei, dass „die Fachbegriffe vertiefend erklärt werden, über die im muttersprachigen Unterricht eher hinweggegangen wäre.“

Außerdem berichten Lehrer*innen aus Erfahrungen, in denen der Einsatz einer Fremdsprache im naturwissenschaftlichen Unterricht unter Umständen Missverständnisse vorbeugen kann, die aus dem Gebrauch alltäglicher Sprache zur Klärung von Sachinhalten rühren könnten. Somit fördert der bilinguale Unterricht womöglich die Vermeidung konzeptioneller Verwechslungen zwischen Fach- und Alltagsbegriffen.

Da der bilinguale naturwissenschaftliche Unterricht immer noch Fachunterricht in den Naturwissenschaften ist und auch sein soll, orientiert sich die Leistungsfeststellung- und Bewertung in der Regel nach den Vorgaben für das jeweilige Sachfach. Bilingualen Unterricht erteilen grundsätzlich qualifizierte Lehrkräfte eines Sachfachs und einer modernen Fremdsprache oder die über entsprechende Nachweise über die notwendigen Fremdsprachkompetenzen (C1 nach gemeinsamen europäischem Referenzrahmen GER) verfügen.

Wie können naturwissenschaftliche Fächer bilingual unterrichtet werden?

Da naturwissenschaftliche Fächer aus dem Unterrichtsgegenstand bereits authentische Sprechanlässe bieten, bedarf es Konzepte und Materialien, die unter Berücksichtigung der Prinzipien des sprachsensiblen Unterrichts sowie Anwendung fremdsprachdidaktischer Methoden entwickelt, ausprobiert, evaluiert und optimiert werden, wie es in der Literatur häufig gefordert wird. Durch kooperative Methoden sollen Schülerinnen und Schüler verstärkt zum Austausch und somit zum Sprachumsatz und Aushandeln des Lerngegenstands angehalten und gefördert werden. Das hierzu notwendige Material soll gemäß der Forderung einer fachspezifischen Didaktik des bilingualen Unterrichts in den Naturwissenschaften entwickelt und über Netzwerke an Lehrerinnen und Lehrer verteilt, diskutiert, weiterentwickelt und optimiert werden.

Materialien zum bilingualen Unterricht in Naturwissenschaften gibt es beispielsweise auf der Webseite der Arbeitsgruppe Chemiedidaktik am Institut für Mathematik und Naturwissenschaften der Universität Wuppertal (⟶https://chemiedidaktik.uni-wuppertal.de/index.php?id=4235&L=0). Von mir selbst erstellte Materialien gibt es unter entsprechendem Vermerk auch auf meiner Website.

Anregungen, Ideen, Hinweise und Tipps nehme ich jeder Zeit gerne per E-Mail entgegen und freue mich auf den Austausch!

Literatur

[1] A. Tiefenthal, „Das deutsche Schulportal,“ 18 04 2018. [Online]. Available: https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/lehrerbildung-die-wichtigsten-zahlen-ueber-das-lehramtsstudium/. [Zugriff am 31 03 2020].
[2] Kultusministerkonferenz, „Bericht „Konzepte für den bilingualen Unterricht – Erfahrungsbericht und Vorschläge zur Weiterentwicklung“,“ 2013.
[3] J. Leisen, „Darstellungs- und Symbolisierungsformen im Bilingualen Unterricht,“ in Handbuch Bilingualer Unterricht: Content and Language Intergrated Learning, Seelze, Klett-Kallmeyer, 2013, pp. 152-60.
[4] J. Leisen, „Wechsel der Darstellungsformen – Ein Unterrichtsprinzip für alle Fächer,“ Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, Bd. 76, pp. 9-11, 2006.
[5] N. Aristov, „Was ist bekannt über den bilingualen Unterricht in den Naturwissenschaften (Chemie)? Ein Überblick.,“ ChemKon, Bd. 20, Nr. 4, pp. 196-74, 2013.
[6] Becker, Hans-Jürgen; Kemper, Anne-Kathrin; Nguyen, Minh Quang, „Chemiedidaktik 2016: Bilingualer Unterricht,“ Nachrichten aus der Chemie, Bd. 65, pp. 375-81, 2017.